Minna Antova über Transformationen, das Abwesende und den Narrativ der Kunst

Wir sind zu Gast in ihrem Atelier in Baden,

aber ihr Werk kann in Wien oder Graz auch besichtigt und begangen werden, zum Beispiel die ehemalige Synagoge im alten Allgemeinen Krankenhaus – jetzt Universitätscampus, die Minna Antova zum Memorial Denk-Mal Marpe Lanefesh konzipiert und gestaltet hat oder die interaktive Maria von Magdala-Kapelle in Graz. Vielerorts hört man oft den Namen unserer berühmten Landsfrau, bei zahlreichen Vernissagen, Symposien und Konferenzen - zuletzt im Sigmund Freud-Museum... Gleichzeitig hat das Stadtmuseum in St. Pölten eine halbe Etage für eine große Werk-Ausstellung der Künstlerin reserviert, in der sie die Transformationen des MARSYAs - Mythos eindringlich neu interpretiert.

 

 

Maria von Magdala-Kapelle, Ausbildungsanstalt für soziale Berufe, Graz

 

Minna Antova ist eine Künstlerin in Österreich und Bulgarien verwurzelt, sie ist eine bedeutende Vertreterin der zeitgenössischen Kunst.

 Sie absolvierte Meisterschulen für Malerei und Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien, studierte außerdem Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte an der Universität Wien. „In ihrem Werk schöpft sie aus der Auseinandersetzung mit öffentlichem Wirken und Mythen, dem Sakralen und Profanen, Gegenwarts-Phänomenen und Zukunfts-Visionen. Das Spiel mit Perspektiven ist in ihr Werk ursächlich eingebaut und erzeugt produktiven Widerstand.“ schreibt die Medienwissenschaftlerin Julia Pühringer. 

Sie hatte bereits zahlreiche Ausstellungen u. A., in Österreich, London, Madrid, Guatemala, China, Bulgarien, Deutschland, Polen...

 

Maria von Magdala-Kapelle, Ausbildungsanstalt für soziale Berufe, Graz

 

Nach wem sind Sie benannt, Frau Antova? Wie viel von Ihrem Namen ist bulgarisch, wie viel ist deutsch?

- Die Aufklärung und ihre Werte - G. E. Lessings Minna von Barnhelm, eine aktiv-handelnde Heldin, stand als Patin – so wurde ich als Minna in der Geburtsurkunde eingetragen.

 Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

- Als Kind, durch die Arbeit meines Vaters als Diplomat.

 Wie haben Sie Ihr Talent - die Kunst – entdeckt?

- Soweit ich mich erinnern kann, habe ich immer gezeichnet oder gemalt.
Ob ich ein- oder zweidimensional arbeite oder öffentlichen Raum gestalte, so erkunde ich zwischen Bild, Zeichen und Reflexion die Welt und nehme an ihr teil. Es gilt vielstimmige Palimpseste zu entschlüsseln und neu zu ordnen. Ich würde mich selbst als Welt-Raum-Archäologin bezeichnen.

 

Kann man sagen, dass Sie zu einem bestimmten Kreis von Künstlern/Kreativen in Österreich gehören?

- Ich sehe mich nicht unbedingt einem „Kreis“ zugehörig, natürlich mache ich oft Projekte mit Kolleginnen und Kollegen – das kann sehr befruchtend sein. Zuletzt habe ich die Installation „Transformationen der Macht“ mit Michael Bachhofer zusammen gemacht - und das erste Mal Werk mit KI zusammengeführt, eine Begegnung des heimeligen Unheimlichen.

 

Ich bin in einem Haus aufgewachsen, in dem es einen ständigen polyphonen Diskurs mit unterschiedlich Denkenden gab – ob in den Büchern und abonnierten Literatur-Zeitschriften oder in Begegnung mit dem intellektuellen Freundeskreis meines Vaters – dass unterschiedliche Perspektiven nicht bedrohlich, sondern Welt-bereichernd sein können, dass wertschätzende Kommunikation auch bei unterschiedlichen Einstellungen möglich ist, hat mich dauerhaft geprägt.

Durch die frühen Erfahrungen von Verlust, Abwesenheit und Abschied, den Wechsel des Standortes, sind mir auch unterschiedliche Einblicke und Perspektivenwechsel vertraut geworden – diese Erfahrungen bestimmen das Wesen meiner künstlerischen Arbeit.

 In meinen Arbeiten im öffentlichen Raum thematisiere ich die Vielschichtigkeit, sowohl der gebauten wie auch der abgespaltenen Geschichte und deren Wahrnehmung und Verdrängung sichtbar zu machen, es geht um die möglichen Dekonstruktionen und Neu-Konstruktionen von historischem und kulturellem Gedächtnis in der Polis.

 

Projektzentrum für Genderforschung, Universitätscampus, Wien

 

Sie arbeiten an verschiedenen Projekten, haben Sie ein Lieblingsprojekt?

- Für die Universität Wien habe mehrere Projekte realisiert, wie z. B., im architektonisch ältesten Teil vom Universitätscampus, im Projektzentrum für Genderforschung wo ich an den barocken Kreuzgewölben Decken- und Wandfresken hergestellt habe.

 Ein anderes interessantes Projekt waren die Wandmalereien in den Gängen des Instituts für Philosophie im NIG: ДВА КВАДРАТА//IN TRANSIT//Lost & Found Spaces of El Lissitzky and Friends//Colour Interventions, wo ich an den Verknüpfungen vom Wiener Kreis und Otto Neuraths Visualisierung der Kommunikation mit dem Schaffen von El Lisizky und der russischen Avantgarde gearbeitet habe.

 

 

Denk-Mal Marpe Lanefesch, ehemalige AAKH-Synagoge - Aufsicht, Universitätscampus, Wien

 

Und natürlich DENK-MAL Marpe Lanefesch: die Gesamtkonzeption und -Gestaltung der Baureste der ehemaligen AKH Synagoge zum Ort des kulturellen Gedächtnisses. Der Baukörper wird als vieldimensionaler Bedeutungsort definiert: ehemaliger jüdischer Kultort, Ort der Zerstörung jüdischer Lebenswelten und Zeugnis des Umgangs mit Orten jüdischer Geschichte und deren Zerstörung nach 1945.

 

Denk-Mal Marpe Lanefesch, ehemalige AAKH-Synagoge - Glesboden, Universitätscampus, Wien

Das ist eine Arbeit deren Genese knapp acht Jahre gedauert hat und deren Thematik – Das Abwesende – mich nach wie vor beschäftigt, zuletzt in meiner Präsentation bei der gleichnamigen Konferenz „Absence“ im Sigmund Freud-Museum in Wien.

 Gegenwärtig wirke ich an der Entstehung eines Film-Dokumentation über Denk-Mal Synagoge und das Topic des Abwesenden – unter Mitwirkung von der Psychoanalytikerin Jeanne Wolff Bernstein. 

 

DENK-MAL-Synagoge, Velum, Glasdecke-von Innen

 

In Graz habe ich für die Caritas Lehranstalt für Sozialberufe die Maria von Magdala-Kapelle architektonisch und künstlerisch konzipiert und gestaltet. Es ist die einzige feministische Kapelle in Österreich und die erste Kapelle, in der Synagoga und Ecclesia als Symbole gleichwertig dargestellt sind.

 

Die Texte, auf raumhohe Gleisstreifen sind beweglich, das Kreuz kann dekonstruiert und wieder konstruiert werden, eine Demokratisierung von Raum und Glaube zugleich.

 

Am weiblichen Symbolischen und Sakralen Raum arbeite ich auch theoretisch. Um mit Julia Kristeva zu sprechen: Die Asymbolie, die Exildiagnose der Fremden per se – befähige sie die Frau nicht erst den Corpus des Sakralen zu erfahren? Das Sakrale betrachtend als einer Art Übergang, einer Bewegung zwischen Ordnung und Unordnung, dem Körper und dem Gesetz, dem Innen und dem Außen, dem Selbst und dem Anderen. Bei der Jahrestagung der SWIP-Austria 2024 habe ich darüber referiert, demnächst erscheint die Publikation der Tagung.

 

Wie und wann hat Sie der Mythos von Marsyas – Apollo fasziniert?

- Begonnen hat es noch in den 90-er Jahre mit Gesichts- und Ganzkörper-Hautabdrucke, bereits im neuen Jahrtausend. Die geprägte Haut, fragil und mächtig, kraftvoll und ohnmächtig, besitzt die Kraft, uns zu zerbrechen und uns zusammen zu halten. Die Haut wird erobert, bewohnt, dekoriert. Die Haut als Metapher spricht/schreibt Narrative zur Diversität. Haut ist auch Grenze von innen nach außen. Es gibt aber keine Grenze, bis zu der ich mich ausbreite. Immer verwebe ich mich mit jemand Anderen – auch Abwesenden. Haut berühren ist nie nur körperlich, sondern auch seelisch/spirituell. Sehen, aber nichts befühlen, entleert die Sensibilität.

Link zu:SKIN#touching//NOLI ME TANGERE wurde als „archäologische Ausgrabung“ in Haus Wittgenstein präsentiert und sinnlich inszeniert. Der künstlerische Prozess verläuft ausgehend vom Inneren des dreidimensionalen Körpers über die Berührung des transparenten Papiers zu dem eindimensionalen Bildzeichen. Zu Beginn stehen Abdrucke von Hautfragmenten, selbige mit dem Körper geschrieben, über-zeichnet mit Bleistiftzeichnungen von Übergangs-Objekten, -entwürfen und -entwicklungen.

 

Die Transparent-Papierbahnen hängten instabil im Raum und wurden vom Luftzug der vorbei Gehenden bewegt. Die Einzelschnitte der Installation bezogen sich auf die konkreten Räume im Haus Wittgensteins und korrespondierten auch mit Werk und biografisches Werden des Philosophen Ludwig Wittgenstein.

 

 

Wittgenstein's Room, Installation

Aus den Arbeiten ist auch ein Experimentalfilm: between the worlds//SKIN#touching//NOLI ME TANGERE, entstanden, realisiert in Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Filmer Tomasz Golinski.

In meinem Werk, so wie aktuell in MARSYAs_she/Transformations, erforsche ich oft Bereiche des Rätselhaften und des Alltäglichen. Insbesondere interessiere ich mich für die kulturelle Ladung, die durch Mythen vermittelt wird und für den innewohnenden Widerspruch, den Kern der Wahrheit, der in der allgemein akzeptierten Fiktion kontrolliert wird. Die künstlerische Recherche dient mir als Werkzeug, um die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion zu erfassen. Indem ich Elemente aus der Struktur des Mythos entlehne und sie auf einem symbolischen Raum übertrage, entsteht eine ironisch gebrochene Mythos-Perspektive.

 

Der Mensch ist in diesen Arbeiten als „Zeichen“ anwesend, entlehnt der Semiotik von Artefakten der griechischen Archaik – der Mythen-Entstehungszeit.

 

In MARSYAs_she/Transformations beginnt meine Interpretation dort, wo der Mythos endet: d.h., Mensch ist nur bar einer Schutzhaut befähigt zu transzendieren - und zum schöpferischem Tun. Hier verwebe ich Themen wie die Anfänge der Zivilisation, die Symbolik des Kreuzes als Möglichkeit der Verknüpfung der horizontalen und vertikalen Ordnung miteinander und die Gewissheit mit dem Anderen verflochten zu sein, auch wenn wir anthropozentrisch denken, dass wir, mit unserer vermeintlich Logos-kontrollierten Leiblichkeit solitär sind.

 

Es geht darum, wie sich der oder die Einzelne in dieser Welt einbringt, aber gleichzeitig auch darum, wie wir es schaffen unser Einzigartiges mit dem Gemeinsamen zu verweben – um im Biotop dieses kleinen blauen Planeten solidarisch-handlungsfähig zu sein. 

Link zu  der Marsyas-Ausstellung von Minna Antova:

https://www.meinbezirk.at/baden/c-lokales/den-mythos-vom-maennlichen-genie-neu-denken_a6874129

 

Das Interview wurde geführt von Svetlana Zheleva und Dessislaw Pajakoff

Прочетено 378 пъти Последна промяна от Петък, 13 Декември 2024 18:07
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